Diesem Mann vertraut jeder

Die Sicherheitsschleuse öffnet sich. Ich mache einen Schritt und warte, bis auch die zweite Tür den Weg freigibt. Mit dem Lift geht es in den 12. Stock. Über eine schmale und steile Treppe erreiche ich das berühmteste Dach der Schweiz. Von hier sendet «Meteo» den Wetterbericht jeden Tag live. Da darf einer natürlich nicht fehlen: Thomas Bucheli.

Herr Bucheli, wie wird das Wetter morgen?

Ich hoffe, es kommt bald das Hoch, das sich angekündigt hat. Die aktuellsten Daten habe ich aber noch nicht analysiert. Das machen wir immer gemeinsam in unserer Teamsitzung. Und dann müssen Sie einfach «Meteo» schauen (lacht).

Wie entstehen denn Ihre Prognosen?

Morgens um 3 Uhr beginnt die Frühschicht. In einem ersten Schritt verschaffen sich unsere Kollegen zunächst einen Überblick über das aktuelle Wetter und seine kurzfristige Entwicklung. Die primären Fragen lauten: Gibt es besondere Herausforderungen aufgrund möglicher Gefahren? Müssen Wetterwarnungen und Gefahrenmeldungen herausgegeben werden? Anschliessend kommt das intensive Studium der Wettermodelle. Aus all diesen Erkenntnissen leiten wir die wahrscheinlichste Wetter­entwicklung für die nächsten Tage ab. Dann starten wir mit der Pro­duktion. Heutzutage gibt es viele verschiedene Formate und Kanäle, über die wir unsere Erkenntnisse verbreiten. Jeder dieser Kanäle – ob Radio, TV, Internet – verlangt eine etwas andere Art der Aufbereitung. Unsere Prognosen erstellen wir teils schriftlich, teils erfolgen sie als Live-Interviews über die Radiosender von SRF. Sie beinhalten grafische Elemente fürs Fernsehen und werden auch über die Social-Media-Kanäle verbreitet. Unsere Arbeit versteht sich als laufender Prozess, bei dem stetig neue aktuelle Daten und Informationen miteinbezogen werden. Zwei­-mal pro Tag werden die Erkenntnisse im Team diskutiert, neu ausgewertet und gegebenenfalls an die aktuelle Lage angepasst. Und glauben Sie mir: Jedes Wetter bietet uns immer wieder einen neuen Lerneffekt.

Bringen Sie uns auch etwas bei: Was ist denn eigentlich Wetter?

Die Sonne heizt unterschiedliche Regionen der Welt nicht gleichmässig auf. Dadurch herrschen sowohl global wie auch regional – und selbst lokal – energetische Ungleichgewichte in der Erdatmosphäre, die das System stetig auszugleichen versucht. Dies ist letztendlich auch der Motor für das Wetter. Dabei spielt das Element Wasser eine ganz wesentliche Rolle: Mit der Umwandlung von Wasserdampf in Wassertröpfchen und Eiskristalle – und umgekehrt – wird sehr viel Energie umgelagert, und zwar in allen drei Dimensionen. Das Ergebnis: Schnee, Regen, Hagel, Druckunterschiede, Temperaturschwankungen, Winde. Kurzum: Wenn die Sonne nicht scheinen würde, kämen all diese Prozesse zum Stillstand – es gäbe kein Wetter.

Wir machen kein Halligalli.

Was fasziniert Sie so daran?

Vor allem die grossräumige dreidimensionale Betrachtungsweise. Das Wetter wird global gesteuert, vermischt sich aber mit regionalen und lokalen Einflüssen. Diese Zusammenhänge zu verstehen und in die Zukunft zu extrapolieren, ist für mich unheimlich spannend. Letztendlich ist das reine Physik, aber trotzdem nicht wie in der Mathematik, wo es immer ein eindeutiges Ergebnis gibt. In Anbetracht der grossen Komplexität des Wetters sind die heutigen Modelle zwar schon extrem gut – aber immer noch nicht zu 100 Prozent perfekt. Dies bietet uns Meteorologen immer gewisse Interpretationsspielräume, wo wir das eigene Gespür und vor allem unsere Erfahrung einbringen können.

Kommen wir zum Privatmenschen Thomas Bucheli. Wer sind Sie?

Ist ja wie bei Schawinski (lacht) ... ich bezeichne mich als ausgeglichenen Menschen, wobei ich durchaus auch temperamentvoll sein kann. Vielleicht hatte ich ita­lienische Vorfahren … Ich übernehme gerne Führungs­aufgaben, was ich bereits im Militär lernen konnte. «Trial and Error» ist dabei ein guter Weg – und es gilt immer zu beobachten und aus den eigenen Fehlern und auch aus denen der Vorgesetzten zu lernen. Besonders wichtig ist mir die Teamarbeit, denn ohne die aktive Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen ist ein Chef chancenlos. Die gemeinsame Arbeit mit der Redaktion ist mir daher ganz besonders wichtig.

Jedes Wetter bietet uns immer wieder einen neuen Lerneffekt.

Sie sind kein Filmstar oder Olympiasieger. Aber jeder in der Schweiz kennt Sie. Wie geht man mit dieser Prominenz um?

Die Popularität habe ich nicht gesucht – ich bin da ziemlich «hineingerutscht». Ich versuche, möglichst natürlich damit umzugehen. Dabei hilft sicher, dass ich in einem kleinen Dorf mit 1800 Einwohnern aufgewachsen bin. Da kannte jeder jeden. Dieses Dorf ist für mich jetzt einfach grösser geworden.

Grössere Aufmerksamkeit bedeutet oft aber auch negativere Schlagzeilen …

Es wäre ja nicht glaubwürdig, wenn alles eitel Sonnenschein wäre. Natürlich haben wir alle negative Seiten, machen Fehler, sind nicht vollkommen. Ich versuche einfach, der Presse nicht zu viel Material zu liefern. Aber wenn man sich auf die eine Seite einlässt, muss man auch auf die andere vorbereitet sein. In der Tat ist der Umgang mit den Medien schon ein wichtiges Thema. So bereiten wir auch die neuen Mitarbeitenden intensiv darauf vor, beispielsweise mit dem Ratschlag, sich zunächst auf die berufliche Funktion zu konzentrieren und das Private im Hintergrund zu behalten. Aber ganz ehrlich: Natürlich fühlt man sich am Anfang sehr geschmeichelt ob all der Anfragen der Medien. Dies verführt. Auch ich bin dieser Masche erlegen.

Warum ist uns Menschen das Wetter so wichtig? Wir können es ja nicht beeinflussen …

Natürlich können wir das Wetter nicht machen; wir können unsere Aktivitäten aber nach dem Wetter respektive eben nach den Prognosen richten. Es gibt zahlreiche Berufsbranchen, die vom Wetter sehr abhängig sind und mit einer guten Planung viel Geld sparen können. Die Wetterprognostik bringt der Volkswirtschaft einen riesigen Nutzen, weltweit und bei uns. Das funktioniert aber nur dank der internationalen Koordination und Zusammenarbeit. Daher sind alle in der Prognostik tätigen Wissenschaftler, Forscher, Techniker und Informatiker weltweit vernetzt und verfolgen gemeinsam ein Ziel: die Prognosen noch exakter gestalten zu können. Dass letztendlich auch jeder einzelne Kunde von Prognosen profitiert und seinen Nutzen daraus ziehen kann, zeigen auch unsere hohen Einschaltquoten.  

Ein Thema beherrscht gerade alle Berichterstattungen. Erklären Sie uns den Klimawandel.

Das Sonnenlicht strahlt durch die Atmosphäre auf die Erdoberfläche. Dort wird die kurzwellige Sonnenstrahlung in langwellige Wärmestrahlen umgewandelt. Um die langfristige «Energie-Balance» nicht aus dem Lot zu bringen, muss diese Wärme wieder ins Weltall abgestrahlt werden. Nun haben wir Gase in unserer Atmosphäre, die zwar das Sonnenlicht herein-, aber die langwelligen Strahlen nur zu einem gewissen Teil wieder hinauslassen. Das sind die berühmten Treibhausgase. Grundsätzlich ist das auch gut so, sonst hätten wir auf unserer Erde eine Mitteltemperatur von rund –18 Grad Celsius – und wir wären alle nicht da. Entscheidend ist aber die Konzentration der Gase. Diese haben wir durch unseren Lebensstil extrem gefördert. Dass sich die Erde nun mit einer erhöhten Menge dieser Gase in der Atmosphäre aufheizt, ist somit reine Physik.

Ist es wirklich schon zu spät?

Die Frage ist, wofür es zu spät ist. Die Welt wird sicher nicht untergehen. Aber gerade in Gebieten, die ohnehin stark mit der Unbill des Wetters zu kämpfen haben, kann es noch schwieriger werden. So steigt in einer wärmeren Umgebung die Gefahr von stärkeren Niederschlägen gleichzeitig mit der Gefahr von Hochwasser und Erdrutschen. Manche Länder und Gesellschaften können sich vor derartigen Auswirkungen vielleicht schützen, andere dagegen sind dieser Entwicklung hilflos ausgeliefert. Präventionsmassnahmen werden generell unser Handeln prägen. Der Klimawandel kommt ja nicht irgendwann auf einen Schlag, sondern er ist ein schleichender Prozess – und wir stecken bereits mittendrin.

Welche Lösungen sehen Sie?

Es gibt sicher zwei Wege: Wir brauchen neue, «saubere» Technologien, was aber scheinbar nicht ganz so einfach ist. Und zum Zweiten müssen wir uns global einigen, weniger Treibhausgase zu generieren. Das ist eine politische Frage. Eins ist klar: Natürlich müssten wir unser Verhalten radikal ändern. Dies wird aber, global betrachtet, nicht in jeder Region dieser Erde gleich möglich sein. Aber die Schweiz kann selbstverständlich ihren Beitrag dazu leisten – für sich selbst und für die anderen.

Das eigene Gespür ist gefragt.

Wie oft liegt man falsch mit der Wettervorhersage?

Das kommt auf die Wetterlage an und auf das, was man als «falsche Prognose» bezeichnet. Nebel beispielsweise ist ein sehr sensibles Gebilde und löst sich mitunter auf, obwohl alle «erkannten» Faktoren dagegensprechen. Jedenfalls sind wir heute für den vierten Vorhersagetag besser wie vor 30 Jahren für den nächsten Tag. Das ist eine enorme Entwicklung. Viele erwarten aber auch die gleiche Sicherheit für den siebten Tag und für jede Region, bei jeder Wetterlage. Das geht einfach nicht. Noch nicht.

Was ist spannender für Sie – Fernsehen oder Meteorologie?

Die Arbeit für und in den Medien finde ich ausserordentlich spannend. Wir haben die einmalige Chance, dass wir unser Fachwissen und unsere Erkenntnisse aus der Wissenschaft direkt an das Publikum weitergeben können. Unsere Information soll jedoch nicht in «Fachchinesisch» daherkommen, aber gleichzeitig auch nicht zu plakativ oder zu «simpel» formuliert sein. Diese Gratwanderung ist eine stetige Herausforderung, die enorm Spass macht.

Muss also die Wetterprognose mehr Entertainment bieten?

Wetter sorgt per se für «Entertainment» – wenn auch nicht immer auf die harmlose Tour. Von unserer Seite her muss man das nicht noch verstärken. Unsere fachliche Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut. Deswegen machen wir auch kein Halligalli. Das Meteo-Dach ist das beste Beispiel dafür: Das Wetter steht im Vordergrund, wir können direkt daran anknüpfen und die Prognose auf dem aktuellen Live-Wetter aufbauen.

Eines interessiert mich noch brennend: Wird es ein guter Sommer?

Das weiss ich nicht, fragen Sie den Böögg (lacht).

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