Im Rampenlicht

Beatrice Tschanz Kramel musste sowohl beruflich wie auch privat immer wieder Farbe bekennen. Doch viele Fragen – nach Mut, Stärke und wie sie ihre gewichtigen Kommunikationsaufgaben überhaupt bewältigte – lösen sich in Luft auf, wenn man sie kennenlernt. Ihre charismatische Ausstrahlung und dass sie immer, aber auch immer Klartext spricht: Das ist bereits die Antwort.

Sind Sie jetzt eigentlich im Ruhestand? Oder anders gefragt: Werden Sie das jemals sein?

Gemäss Jahrgang bin ich schon länger im Ruhestand, aber immer noch aktiv. Ich habe ein paar Verwaltungsratsmandate, setze mich für einige wohltätige Organisationen ein und nehme von Zeit zu Zeit Beratungsmandate an. Etwas vom Spannendsten zurzeit ist das Mandat in der Eidgenössischen Kommission für Weltraumfragen. Da sitzen alles Fachleute – und sie brauchten auch jemanden für die Kommunikation. Da lerne natürlich auch ich «old cookie» noch jeden Tag Neues dazu und habe viele Fragen. Mir tut das immer weh, wenn ich ältere Menschen sehe, die sich für nichts mehr interessieren. Für mich geht dann das Licht aus, wenn man keine Fragen mehr hat.

Kennengelernt hat Sie die Öffentlichkeit als Kommunikationschefin der SAirGroup. Erstmals so richtig im Rampenlicht standen Sie 1998 beim Flugzeugabsturz bei Halifax und drei Jahre später beim Swissair-Grounding. Sie zeigten, was professionelle Kommunikation bewirken kann. Wie fühlten Sie sich damals?

Als die Swissair MD-11 bei Halifax abstürzte, wurde ich über Nacht in die Öffentlichkeit katapultiert. Auch wenn so ein Unternehmen auf den Krisenfall eigentlich sehr gut vorbereitet ist – als es dann wirklich passierte, fragte ich mich, wo denn nun all die hohen Herren waren. Da sagte ich mir: «Jetzt muesch.» Viele fragten mich später, wie ich das überhaupt geschafft habe, aber das merkt man gar nicht. Jeder Mensch ist sehr viel stärker, als er sich zutraut. Natürlich haben viele Leute mitgeholfen, ich musste einfach hinstehen – der ganze Fokus war auf mir. Und es war eine neue Art der Kommunikation. Anstatt den Laden herunterzulassen, machten wir auf. Wir lieferten den Medien jeden Tag ein Thema, damit sie nicht irgendetwas schrieben. Jeden gesicherten Fakt gaben wir den Journalisten weiter. Weil ich vom Journalismus herkomme, wusste ich genau, wie die ticken – das war ein matchentscheidender Vorteil. Und ich wurde auch nicht nervös, als der siebzigste Journalist am gleichen Tag anrief. Als man sah, dass diese Strategie funktioniert, fand ich sehr viel Unterstützung im Unternehmen. Deshalb konnte ich zum Teil auch total unkonventionell vorgehen: Ich organisierte zum Beispiel, dass die Journalisten nach der Medienkonferenz direkt nach Halifax fliegen konnten – ohne Pass, ohne Visum, nur mit Notgepäck, das wir ihnen zur Verfügung stellten. Da sagten auch bei uns ein paar Leute: «Das kannst Du doch nicht machen, wo soll ich jetzt einen Flieger hernehmen?» Aber das war mir «Wurst», das konnten wir alles im Nachhinein regeln. So gab es ein paar erstmalige Massnahmen. Aber ich behaupte heute noch, ich habe einfach meinen Job gemacht.

Aber Sie haben den Job auf Ihre Art gemacht, eben anders.

Richtig. Ich konzentrierte mich auf die Fakten und zeigte trotzdem Empathie. Das merkten die Leute offensichtlich. Denn Glaubwürdigkeit kommt durch Offenheit und Transparenz. Nach dem Flugzeugabsturz wurde es dann wirtschaftlich brutal, da konnte auch ich nicht viel Licht ins Dunkel bringen. Plötzlich hiess es: Swissair gleich Tschanz, das ist sehr gefährlich. Vor dem Grounding wurde ich dann von Herrn Corti hinausspediert, er wollte alles allein machen. Damals dachte ich, das kommt nicht gut. Trotzdem, dass am 2. Oktober 2001 alle Flieger am Boden bleiben würden, das hätte ich mir nie vorstellen können.

Denn Glaubwürdigkeit kommt durch Offenheit und Transparenz.

Wie viel kann man von einem Krisenkommunikationskonzept wirklich umsetzen, wenn es so weit ist?

Sehr wenig. Umsetzen kann man gewisse Abläufe und die Hierarchie, welche in einem Konzept festgelegt wurden. Aber wenn es passiert, kommt eine Komponente dazu, die man nie üben kann: die emotionale Ebene. Als am Morgen des Groundings die Herren mit Tränen in den Augen im Gang standen, waren sie nicht hilflos in der Sache, sondern mit den Emotionen überfordert. Emotionen muss man zulassen, aber man darf sich nicht von ihnen wegschwemmen lassen. Deshalb ist es so wichtig, im Voraus auch an das Unbequeme zu denken, so ungern wir das alle tun. Dabei muss es gar nicht immer eine Katastrophe sein, das gilt auch im Kleinen.

Seither haben Sie viele weitere Unternehmen in ein gutes Licht gerückt. Was ist das Geheimnis herausragender Unternehmenskommunikation und Medienarbeit?

Transparenz, Ehrlichkeit, Offenheit stehen ganz zuoberst. Das wissen auch alle, aber wenn es so weit ist, machen trotzdem die meisten zu. Dann spekulieren die Medien, und das ist noch viel schlimmer. Fakten statt Worthülsen. Und das Wichtigste: Respektiere die Medien, und die Medien werden das Unternehmen respektieren. Das Gejammer der CEOs um die Medien ist völlig falsch. Wir können froh sein, freie Medien zu haben, und es ist ihre Aufgabe, den Dingen nachzugehen. Wenn wir sie respektieren, darf man im Gegenzug Respekt erwarten, ganz einfach. Kommunikation ist keine Kunst.

Aber: Man muss die Kunst in der Situation beherrschen.

Genau. In der Situation muss man den Beweis antreten. Viele meinen, sie kämen mit einer Salamitaktik immer noch durch.

Und das Schlimme ist, oft funktioniert es.

Kurzfristig vielleicht, aber langfristig nie. Die grösste Sünde in der Kommunikation sind Lügen, das stürzt ein Unternehmen dann erst recht ins Dunkle. Aber ich möchte doch noch etwas anfügen: Man meint immer, Kommunikation ginge nur nach aussen. Aber die interne Kommunikation ist gleichwertig, wenn nicht wichtiger. Das ist der Boden, auf dem man geht. Da machen viele den Fehler.

Als Sie 2003 Sulzer Medica verliessen, wurden Sie wegen Ihrer Abgangsentschädigung kritisiert. Wie gingen Sie nach all den Hochs mit dem Tief um?

Ich wusste immer: Irgendwann kommt der Gegenzug. Wer hochgejubelt wird, den holen sie irgendwann wieder herunter. Diese Gesetzmässigkeit kenne ich. Als wir bei Sulzer Medica in die Kritik gerieten wegen der verunreinigten Hüftgelenkimplantate, berichteten alle – von der «Finanz & Wirtschaft» bis zur «Financial Times». Wir bekamen ein Optionenprogramm und die Aussicht auf eine Entschädigung, sollte es uns gelingen, den Fall zu lösen. Wir flogen jeden Monat nach Ohio und verhandelten mit der Bundesrichterin und einem Pool von Anwälten. Auch wenn viele für das Unternehmen keine Hoffnung mehr sahen, wir gaben nie auf. Und so erreichten wir den Fortbestand der Firma, eine gesicherte Zukunft und retteten 700 Arbeitsplätze in Winterthur. Als dann die Entschädigung kam – es waren knapp zwei Millionen Franken –, wurden wir als Abzocker betitelt. Ich sagte immer: «Ihr könnt schreiben, was ihr wollt, aber wir haben etwas erreicht.» Da habe ich kein schlechtes Gewissen. Natürlich, es war eine gute Entlöhnung, aber auch an ein Bonus-Malus-System geknüpft. Hätten wir unser Ziel nicht erreicht, es wäre kein Rappen geflossen. Die Kritik ging nicht spurlos an mir vorbei, die musste ich einstecken. Als Abzockerin habe ich mich aber nie gefühlt.

Sie gelten als eine der wichtigsten Top-Managerinnen der Schweiz. Haben Sie Ihre Karriere je bewusst geplant?

Ich habe nie eine Karriereplanung gemacht. Die Amerikaner fragten mich manchmal: «Beatrice, what’s your next career step?» Ich sagte dann jeweils: «Nüt – was ich mache, mache ich gern.» Und so war es. Eins gab das andere. Als ich bei Jelmoli ging, rief mich am Abend um neun Philippe Bruggisser an und sagte: «Grüezi, da isch Bruggisser, Swissair. Ich brauche jemanden für die Kommunikation, können wir uns einmal treffen?» Als Erstes sagte ich ihm, dass ich von Flugzeugen keine Ahnung habe, aber er meinte trocken, das müsse ich auch nicht, es gebe genug Fachleute. Als wir uns dann das erste Mal sahen, sagte er etwas, das mich absolut beeindruckte: «Wissen Sie, auf diesem Gebiet bin ich nicht gut.» Eingestehen, dass man etwas nicht kann, dazu ist heute fast niemand mehr fähig. Und besonders die Männer – Entschuldigung – haben ja immer alles im Griff. Das hat mich sehr beeindruckt.

Jeder Mensch ist sehr viel stärker, als er sich zutraut.

Sie haben sich immer in der Männer-Managerwelt bewegt, wie haben Sie das selbst wahrgenommen?

Vielleicht war ich da meiner Zeit voraus. Ich machte nie grosse Unterschiede. Es war mir egal, ob ich den Kaffee serviere oder jemand anders – für diese Haltung wurde ich dafür von den Frauen manchmal kritisiert. Ich sah es nie als Kampf zwischen Frauen und Männern, sondern als Ergänzung. Das begann schon in der Teppichetage im Medienhaus Ringier. Ich war drei Jahre lang stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift «Annabelle» und als der Chefredakteur ging, sagte ich: «So, jetzt komme ich.» Und dann hiess es «nei chom, isch scho guet, du machst die Stellvertretung doch so gut.» Die Führungsetage hatte bereits im Kopf, wen sie wollten, nur nicht mich. Aber ich wollte nicht mein Leben lang Stellvertreterin sein – also ging ich. Bei der Frauenzeitschrift «Femina» war ich dann vier Jahre lang Chefredakteurin. Das war ein reiner Frauenladen. Eines Tages sagte ich: «Es ist ganz lässig mit euch Frauen, aber jetzt müssen ein paar Männer her.» Darauf stellte ich einen Sekretär ein, der dann mir den Kaffee machte. Da liess mich der Verleger kommen und fragte mich, was mir eigentlich einfalle, ein Mann könne doch nicht Sekretär sein. Dabei wollte dieser Mann nur einen Fuss in die Tür des Journalismus setzen, und aus ihm wurde später tatsächlich ein sehr guter Journalist. Aber noch viel wichtiger, als wer den Kaffee macht, ist doch die Frage, ob Frauen und Männer den gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten. Da, glaube ich, haben es die Frauen nach wie vor schwieriger. Es ist wie bei einem Dimmer: Die Veränderung erfolgt nicht schnell – aber ich bin sehr zuversichtlich.

Nebst dem, dass Sie für Unternehmen oft in Krisensituationen kommunizierten, haben Sie auch privat Schicksalsschläge erlebt. Was gab Ihnen immer wieder Lichtblicke?

Sie sprechen die Krankheit und den Tod meines ersten Mannes an. Wissen Sie, selbst im Dämmerlicht seiner Krankheit gab es so viele wertvolle Momente. Er war ein Ausbund an Lebensfreude und kämpfte bis zuletzt. Wir waren 25 Jahre lang verheiratet und haben in dieser Zeit sehr viel zusammen erlebt. Es tröstete mich, dass er in seinen letzten 10 Jahren noch alles machen konnte, was er wollte. Als dann der Tod kam, war ich vorbereitet, es war abgeschlossen. Und er hatte mir das Versprechen abgenommen, mein Leben weiterzuleben. So konnte ich loslassen. Etwa ein halbes Jahr nach seinem Tod sagte ich mir: «So, und jetzt musst du wieder unter die Leute, etwas unternehmen.» Ehrlich gesagt, ich suchte einen Neuanfang. Das Leben ging weiter – und siehe da, unverhofft, nach eineinhalb Jahren, begegnete ich einem Witwer. Wir verliebten uns und beschlossen, zusammen alt zu werden. Das Wichtigste ist: loslassen. Egal, ob man beruflich oder privat etwas erlebt. Wer nicht loslassen kann, ist nicht frei. Aber loslassen ist ganz schwierig. Wenn man mit der Gewissheit lebt, dass es nicht nur Sonnen-, sondern auch Schattenseiten gibt, macht das einen gelassener.

Es geht nicht darum, die Wohnung zu inszenieren, es geht um emotionale Wärme. Licht ist Wohlbefinden.

Was bedeutet Ihnen Licht?

Licht ist Leben. Ich bin ein Sonnenkind – Jahrzehntelang nahm ich alle meine Ferien im Winter und flüchtete an die Sonne. Aber auch zu Hause in den Wohnräumen ist Licht essenziell. Dabei geht es nicht darum, die Wohnung zu inszenieren, es geht um emotionale Wärme. Licht ist Wohlbefinden. Mein jetziger Mann war 40 Jahre lang ETH-Professor für Architektur – durch ihn habe ich eine Beziehung zu Architektur erhalten. Und lernte auch, viel mehr auf solche Dinge wie Licht zu achten. Ich lernte, zu sehen.

Und Ihre Zukunftspläne?

Wünsche habe ich natürlich viele! Einer wird demnächst erfüllt – wir gehen nach Marokko. Auch in Zukunft möchte ich mit meinem Mann noch einige kurze, vielleicht auch längere Reisen machen. Und ich wünsche mir ein paar soziale Veränderungen. Arbeiten und an der Armutsgrenze leben, dieses Thema beschäftigt mich zum Beispiel nachhaltig. Da wünsche ich mir eine Veränderung. Und ich versuche auch, etwas beizutragen und sei es nur im Kleinen. Das Allerwichtigste aber ist, gesund zu bleiben, möglichst lang. Mir tut am Morgen beim Aufstehen manchmal auch etwas weh – und dann sagte mir mein Hausarzt einmal etwas, das ich mir in Zukunft merke: «Wissen Sie, wenn Ihnen nichts mehr wehtut, dann sind Sie gestorben.»

Nächster Artikel

Reden ist Silber, Zuhören ist Gold