Hoch hinaus

Ich sitze in einem leeren Raum. Zwei Regale ohne Bücher. Ein Schreibtisch, so wie der Tischler ihn schuf. Ein Besprechungstisch und zwei Stühle. Ich lege meine Notizen ab, damit es etwas wohnlicher wird. An der Wand –nichts. Es riecht nach Farbe. Lost in Space? Nein, mitten im Swiss SpaceCenter. Die futuristische Welt ferner Galaxien und hochentwickelter Wissenschaften stellt man sich wahrscheinlich etwas anders vor. Umso mehr füllt mein Gegenüber den Raum mit purer Faszination. Und Sympathie.

Endeavour, Atlantis, Columbia, Discovery – vier grosse Namen. Ein weiterer: Claude Nicollier, 69 Jahre, erster und einziger Schweizer ESA-und NASA-Astronaut, einziger europäischer Astronaut mit vier Weltall-Missionen, Wissenschaftler und ordentlicher Professor der Physikund Astrophysik an der École Polytechnique Fédérale deLausanne, Militär-Jagdpilot, Swissair-Linienpilot, Matterhorn-Bezwinger und Vater von zwei Töchtern. Eine wahre Lichtgestalt, deren Leben ich noch weiter beleuchten darf.

Claude Nicollier, Sie sind viel gereist. Reisen, die viele von uns nie machen werden. Ich reise ebenfalls gerne, und egal wo ich bin, suche ich immer den grossen Wagen am Himmel. Dies gibt mir Orientierung. Ein Gefühl, überall daheim zu sein. Wie navigieren Sie sich durchs Leben?

Tagsüber benutze ich oft die Sonne, und wenn es dunkel ist, orientiere ich mich an den Sternen. Ich kenne die Bewegungen der Sonne und den Sternenhimmel ziemlich gut – was nicht unbedingt jeder Astronom von sich behaupten kann. Die meisten sind Spezialisten, was die chemischen Zusammensetzungen von Sternen anbelangt oder kennen ihre Entwicklung, aber nicht wirklich unseren Sternenhimmel. Ich war lange Zeit Himmelsbeobachterin der Schweiz sowie auf der Südhalbkugel in Chile und habe mich sehr intensiv damit beschäftigt. Aber natürlich orientiert man sich auch an seiner Umgebung: an den Hügeln, an Gebäuden und Strassen. Die Schweiz kenne ich wie meine Westentasche. Schliesslich bin ich 40 Jahre lang über mein Heimatland geflogen und kenne jeden Berg auswendig. Bei unseren Einsätzen mit den Hawker Hunters war die Fähigkeit, Karten zu lesen, einfach ein Muss. Wir hatten sonst keine Navigationshilfe im Flugzeug. Das einzige, was uns noch zusätzlich helfen konnte, war unsere eigene Kenntnis über das Gebiet. Damals hatte ich wirklich viel gelernt.

Und wenn Sie jetzt in den Himmel schauen, dann könnten sie mir direkt über jeden Stern und über jede Konstellation Auskunft geben?

Ja, ich kenne die meisten Sternbilder, die abhängig von der Jahreszeit und Uhrzeit variieren. Ich verstehe auch, was Sterne bedeuten und was sie physisch sind. Ihr gesamter Entwicklungszyklus hängt von ihrer Masse und ihrer Zusammensetzung ab. Für mich sind sie nicht nur ein Punkt am Himmel, der Orientierung gibt, sondern können auch physische Biester sein, die ihr eigenes Leben haben. Sterne werden geboren, sind erst Baby-Sterne, wachsen heran, bis sie Teenager sind, werden immer älter, und eines Tages sterben sie. Unsere Kenntnis darüber ist gross. Die Sonne beispielsweise wird in der Zukunft stark wachsen.

Wie kann die Sonne wachsen?

Aufgrund von nuklearen Reaktionen im Kern der Sonne. Dort finden Verbrennungen statt, die die äusseren Schichten erreichen und die Sonne anschwellen lassen. In den nächsten paar Milliarden Jahren wird sie sich zu einem roten Riesen entwickeln. Ihre Oberfläche wird viel grösser und strahlt mehr Licht ab. Tatsächlich verstehen wir diesen Prozess. Für mich sind Sterne faszinierende Objekte, die mich begeistern und mir nicht nur Orientierung geben.

© NASA photo

Früher hat ein Pilot die Sterne – das Licht – zur Orientierung benutzt. Ist das heute immer noch so?

Stimmt. Früher hat man häufig mit der Position von Sternen und mit Sextanten gearbeitet. Zusätzlich hatte man genaue Uhren, um nicht nur die geografische Breite, sondern auch die Länge zu bestimmen. Dies war auch immer noch in den 50er Jahren der Fall, auch beim Überfliegung des Atlantiks. Heute spielen Sterne gar keineRolle mehr. Wir benutzen das GPS, eine zeitliche Berechnung mit Satellitenkonstellationen, was exakt funktioniert und eine grosse Fähigkeit darstellt. An Sternen orientieren sich heute wahrscheinlich nur noch Seeleute – aus roman-tischen, nostalgischen Gründen. Bevor ich Swissair-Pilot wurde, habe ich aber auch noch das Navigieren mit Sternen gelernt, obwohl ich dies nie in der kleinen DC-9 praktizierte.

Herzlichen Glückwunsch! Sie hatten vor kurzem Geburtstag und wurden 69 Jahre alt. Reden wir doch mal über 1969. Am 21. Juli waren Sie in Vevey bei Ihrer Tante und haben die erste Mondlandung im Fernsehen angeschaut. Sie waren 25 Jahre alt. Wussten Sie damals schon, dass Sie irgendwann einmal auch dort oben sein werden?

Nicht wirklich, zu dieser Zeit war ich Wissenschaftler und habe gerade mein Studium beendet. Ausser-dem war ich Militärpilot und hatte ein sehr spannendes und geschäftiges Leben. Ich war interessiert an der Astronomie und habe auch das Apollo-Programm der NASA (National Aeronautics and Space Administration) verfolgt. Apollo 8 zum Beispiel faszinierte mich ungemein. Diese Mission (1968) hatte noch nicht das Ziel, auf dem Mond zu landen, aber ihn zu umkreisen. Aber zu der Zeit dachte ich, dass nur die USA oder die Sowjets solche Weltraum-Abenteuer unternehmen würden, nicht aber die Schweiz.

Dennoch war es ein Traum von Ihnen?

Es war ein Traum, ja – aber ein unmöglicher Traum. Heute würde ich das anders sehen, weil solche Missionen oft internationale Kooperationen darstellen.Nur 6 Jahre später war es dann auch soweit, dass die ESA(European Space Agency) beschlossen hatte, an der bemannten Raumfahrt teilzunehmen. Erst dann realisierte ich, dass es auch als Schweizer nicht unmöglich ist.

Unmöglich nicht, aber nicht jeder wird ja direkt Astronaut. Was hatten Sie unternommen?

Ich wollte diesen Traum wahr werden lassen. Ich war Linienpilot zu dieser Zeit. Die Chancen waren in meinen Augen nicht sehr gross. Die ESA suchte Wissenschafts-Astronauten. Deswegen ging ich zurück in die Wissenschaft und habe in den Niederlanden eine Stelle am Space Science Department der ESA angenommen. Und dann, als die Selektion bevorstand, hatte ich eine sehr gute Ausgangslage. Natürlich gab es noch viele andere Kandidaten. Ich habe mich für jedes Interview vorbereitet, als wenn es eine Universitätsprüfung wäre.

Im Simulator gab es Situationen, in denen wir nicht überlebt hätten.

Werden wir wieder wissenschaftlich. Erklären Sie uns doch bitte kurz und verständlich, warum es im Weltall immer dunkel ist. Wir sind ja viel näher am Licht.

Oh, das ist eine gute Frage. Die Entstehung unseres Universums begründet sich auf den Big Bang, der vor ca. 13,7 Milliarden Jahren stattfand. Damals war das Universum noch sehr heiss, ist dann aber durch seine starke Ausdehnung extrem abgekühlt. Die Temperatur des Himmelhintergrundes, die sogenannte Black Body Temperature, beträgt nur 2,7 K (Kelvin), also ca. minus 270 Grad Celsius. Wenn ein Objekt sehr kalt ist, dann strahlt es nur wenig Licht ab und erscheint schwarz. Ist das Objekt wärmer, gibt es viel mehr Licht ab und wird dadurch farbig. Zuerst dunkelrot, dann heller bis gelb und weiss – je wärmer es wird. Die Sonne zum Beispiel scheint gelb bei ca. 6 000 K, was mittelmässig heiss ist. Es gibt Sterne, die viel heisser sind und dadurch weiss oder sogar blau erstrahlen.

Ich habe durchaus Vorstellungskraft, aber was ich einfach nicht begreife, ist die Unendlichkeit des Raums.

Antwort: Tatsächlich können wir nicht sagen, dass das Universum unendlich ist. Dies wird oft diskutiert. Wir glauben eher, das All hat ein begrenztes Volumen – aber keine Begrenzung. Allerdings können wir uns das nicht wirklich vorstellen, weil unsere Gehirnleistung dazu nicht ausreicht. Man muss sich das so vorstellen: Es gibt ein Modell, das besagt, dass wir als zweidimensionale Wesen auf einer zweidimensionalen Sphäre – beispielsweise auf einer Kugeloberfläche – leben, die sich in einem dreidimensionalen Raum krümmt. Die Kugeloberfläche ist begrenzt in ihrer Grösse, hat aber keine Begrenzung. Und wir glauben, dass das Universum das dreidimensionale Äquivalent der zweidimensionalen Kugelsphäre ist.

Aha. Und Sie verstehen das?

Es ist nicht einfach, weil wir von einem Raum eine klare visuelle Vorstellung haben. Und dieser ist begrenzt. Dann muss ja etwas ausserhalb sein. Aber mathematisch können wir es ausdrücken. Unser Gehirn hat viele tolle Eigenschaften, aber hierbei stösst es einfach an seine Grenzen. Egal, wo man sich im Universum befindet, es wird immer gleich aussehen. Es gibt kein bestimmtes Zentrum. Blaise Pascal, französischer Philosoph und Physiker, hat es ziemlich gut beschrieben: Das Universum ist wie ein Kreis, dessen Mittelpunkt überall ist, aber sein Umfang nirgendwo.

Kennt das Licht ebenso keine Grenzen?

Im Grunde nicht. Natürlich hängt es immer von der Temperatur der Objekte ab und ob diese das Licht, die Energie abstrahlen. Dies benötigt eine Minimum-Temperatur von 0 K. Aber wenn das Licht auf diese Objekte trifft, dann wird es kontinuierlich seinen Weg weitergehen. Das Licht ist immer da, wir müssen es nur registrieren.

Unser Space-Wissen beschränkt sich auf Filme wie «Apollo 13» und den weltberühmten Satz «Houston, wir haben ein Problem». Sie waren viermal auf einer Mission. Hatten Sie auch mal Houston um Hilfe gebeten?

Es gab ein paar brenzlige Situationen, aber nie eine, in der es wirklich ernst wurde und ich um mein Leben fürchten musste. Es gab Situationen, in denen ich dachte, die Mission könnte scheitern – gerade auch bei den Hubble-Projekten. Schlussendlich konnten wir aber mit Hilfe der Bodencrew in Houston auch diese Probleme lösen. Ehrlich gesagt hatte ich gefährlichere Situationen in den 22 Jahren als Militärpilot, wo ich mit Hawker Hunters ganz dicht über den Boden geflogen bin.

Dennoch, Sie waren Vater von zwei Töchtern. Kann man das ausblenden?

Wir akzeptieren dies als Abenteuer, akzeptieren das Risiko und sprachen nie über schlimme Ereignisse. Aber klar, einige meiner Kollegen auf früheren Missionen kamen leider nicht mehr zurück. Man bereitet sich gut vor – und braucht wahrscheinlich auch Glück. Unser Ziel war es, die Mission zu erfüllen. Und wenn dies aus irgendeinem Grund nicht mehr möglich war, versuchte man nur noch zu überleben. Apollo 13 ist ein perfektes Beispiel. Nach der Sauerstofftank-Explosion hatte die Mission nicht mehr das Ziel, auf dem Mond zu landen, sondern einfach nur heil zurückzukommen. Im Simulator gab es Situationen, in denen wir nicht überlebt hätten.

Und das hat Sie nicht nervös gemacht?

Na ja, natürlich ist es nicht wie ein normaler Tag im Büro, wenn man kurz vor dem Start steht. Da ist man schon nervös. Aber wenn man das nicht aushalten kann, dann hat man wohl den falschen Job. Und wenn man die Grenzen der Menschheit überwinden möchte, dann darf man nicht zu viel darüber nachdenken. Das Apollo-Programm hat uns viel gelehrt. Technisch, wissenschaftlich, aber vor allem auch menschlich. Wenn man unbedingt etwas erreichen möchte, dann schafft man das auch.

Wie ist das erste Gefühl, wenn man oben ist?

Es ist sehr ungewöhnlich. Im letzten Teil des Aufstiegs ist man einer Beschleunigung von 3 g ausgesetzt. Und dann plötzlich, innerhalb von einer Sekunde, beträgt die Beschleunigung 0 g. Schwerelosigkeit also, bei der alles umherschwebt. Mein erster Gedanke war, ob ich unter diesen Umständen überhaupt arbeiten könne. Natürlich sind wir auf diese Situation vorbereitet, dennoch ist es etwas Neues. Wir realisieren dann aber relativ schnell, dass wir fast normal funktionieren und auch hier produktiv sein können. Die ersten Minuten waren schon beeindruckend. Wenn man aus dem Fenster schaut, merkt man erst, wie schnell man sich bewegt. Dies kann man nur visuell wahrnehmen, weil alles um einen herum völlig still ist. Es ist ein sehr emotionaler Moment und ein völlig neues Gefühl. In der ersten Nacht schläft man nicht so gut. Aber bereits am nächsten Morgen beginnt der Arbeitsalltag.

Sie waren auch auf Einsätzen ausserhalb des Raumschiffs, um Reparaturarbeiten am Hubble-Teleskop durchzuführen. Auch «Business as usual»?

Eigentlich schon. Der Raumanzug ist praktisch ein persönliches Raumschiff – ohne Antriebssystem. Die Ausseneinsätze trainieren wir natürlich schon auf der Erde und benutzen ähnliche Werkzeuge, die wir dann auch dort oben zur Verfügung haben. Wir sind perfekt vorbereitet, sodass man eine absolut gewohnte Situation vorfindet, wenn man da rausgeht. Das Schlimmste wäre allerdings, Astronauten flögen davon. Dann hat man wohl einen schlechten Tag erwischt und wird zu einem völlig unnützen Satelliten.

Wenn man die Grenzen der Menschheit überwinden möchte, darf man nicht zu viel nachdenken

Ist das schon einmal vorgekommen?

Nein, nie. Dies wäre natürlich auch äusserst gefährlich – und peinlich. Das Space Shuttle konnte einen Astronauten auch wieder einfangen, sofern nur einer der beiden Astronauten davongeflogen wäre. In dem Moment steuert der Commander das Raumschiff in die Nähe des frei schwebenden Kollegen und der angekettete Astronaut fischt ihn wieder ein. Das ist möglich. Kann man tatsächlich nicht gerettet werden, würde man als Satellit um die Erde schweben, so lange man noch Sauerstoff hat. Dann stirbt man als völlig unnützes Wesen.

Apollo hat uns gelehrt, dass alles möglich ist, wenn man will. Wann sind wir denn endlich auf dem Mars?

Der Mars ist viel weiter weg als der Mond. Auf dem Mond ist man in drei Tagen, zum Mars benötigt man ca. acht Monate. Die andere Sache ist, dass man bei einer Mission zum Mond wirklich alles mitnehmen kann, was benötigt wird: Kraftstoff, Equipment, Wasser, Nahrungsmittel. Bei einem Flug zum Mars geht das nicht. Wir müssen also erst lernen, von den Ressourcen des Planeten zu leben. Aber wir wissen bereits jetzt schon viel über diesen Planeten, was man dort findet und wie er aufgebaut ist.

Also wann genau?

Die NASA plant, in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts dort zu sein. Mittlerweile gibt es auch private Unternehmen, die dies versuchen – unabhängig von staatlicher Unterstützung. 2018 gibt es ein privates Projekt «Inspiration Mars», das zwei Menschen zum Mars schicken will für eine Umrundung. Dann gibt es «Mars One» als weiteres privates Projekt. Hier ist das Ziel, vier Leute auf einem One-Way-Trip zum Mars zu bringen im Jahr 2023. Die suchen noch Freiwillige.

Haben Sie sich schon angemeldet?

Nein. Das ist für jüngere Leute. Ich wäre dann 80, wenn das passiert. Die Idee ist, dort mit einer normalen Lebenserwartung unter relativ «normalen» Bedingungen zu leben. Und dann stirbt man halt dort oben und hat sein Grab auf dem Mars. Diese Vorstellung ist für viele akzeptabel. Für mich auch.

Ich werde darüber nachdenken. Bleibt noch zu klären, was Sie mit «von Däniken» gemeinsam haben?

Das ist schwierig zu beantworten. Aber grundsätzlich verschliesse ich nicht meine Augen vor derVorstellung, es gäbe irgendwo anderes Leben. Die, die momentan sagen, sie hätten Ausserirdische gesehen, denen begegne ich mit Vorsicht. Ich bin der Meinung, dass ich in einer sehr privilegierten Situation war und dennoch kein ausserirdisches Leben entdeckt habe. Auch meine besten Astronauten-Freunde nicht, mit denen ich sehroffen darüber spreche und die ebenfalls dort oben waren. Aber ich halte meine Augen offen und halte es für möglich.

Nächster Artikel

Im Rampenlicht