Immer Vollgas

Er blinkt, wechselt auf die linke Spur und drückt aufs Gaspedal. Die Regenerationszeit nach der langen und erfolgreichen Saison geht zu Ende. Nun hat ihn der Profialltag wieder fest im Griff – Trainingslager, Leistungstests, Sponsorentermine. Bereits heute ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Mit 28 Jahren. Zeit ist bei ihm kostbar, deswegen nutze ich sie und führe dieses Interview auf der A3 von Magglingen nach Davos.

Herr Cologna, es geht wieder los. Freuen Sie sich, oder würden Sie lieber den Urlaub verlängern?

Als Profisportler ist man oft unterwegs und erlebt viel Spannendes. Aber immer Vollgas zu geben ist sehr anstrengend. Von daher tut eine Auszeit dann und wann ganz gut. Dennoch kann ich in dieser Zeit nicht ganz abschalten, weil man das Training immer im Hinterkopf hat und auch im Urlaub trainieren muss. Natürlich freue ich mich auf die neue Saison. Langlauf ist schliesslich meine Leidenschaft.

Das war sie aber nicht immer. Sie kamen erst spät zum Langlaufsport.

Das stimmt. Ich habe mit Ski alpin begonnen und wechselte erst im Alter von elf Jahren zum Skilanglauf. Ich habe früher vieles ausprobiert. Als kleiner Junge wollte ich Profifussballer werden. Aber mit einer Loipe vor der Tür war mein Weg quasi vorgespurt. Für mich war schon früh klar, dass ich Profisportler werden würde.

Dann läuft man als Kind lieber in der Loipe, als mit Vollgas den Hang runterzufahren?

Ich laufe auch mit Vollgas durch die Loipe (schmunzelt) ... Ja, tatsächlich. Es hat mich von Anfang an begeistert. Langlauf gab mir mehr Erfüllung und erfordert meiner Meinung nach die grössere körperliche Leistung. Ich habe mich in der Loipe immer gut gefühlt und schnell gemerkt, dass ich für Ausdauersportarten sehr talentiert bin.

Wie merkt man das?

Ganz einfach (lacht) ... Ich habe oft gewonnen.

Wie in Sotschi – gleich zweimal, und so wurden Sie endgültig zum Schweizer Nationalhelden. Wie wichtig ist es Ihnen, berühmt zu sein?

Es ist schon ein cooles Gefühl, in der Öffentlichkeit zu stehen und dass die Leute sich freuen, wenn sie mich sehen. Das zeigt mir vor allem die Anerkennung für meine Leistung. Es ist schön, wenn man durch die eigene Bekanntheit für viele junge Menschen ein Vorbild sein kann. Auf der anderen Seite fehlt mir oft die Ruhe. Aber man lernt im Lauf der Jahre, mit der Öffentlichkeit umzugehen. Am Anfang hatte ich oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich Termine absagen musste. Ich kann einfach nicht alle Termine wahrnehmen.

Der Zustand völliger Leichtigkeit ist das Beste fürs Rennen.

Zurück nach Sotschi – ich muss die Frage einfach stellen: Was geht einem durch den Kopf, wenn man goldbehängt oben auf dem Treppchen steht und die Nationalhymne hört?

Es ist ein sehr spezieller und emotionaler Moment. Bei Olympia dabei zu sein und auch noch zweimal zu gewinnen, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Man denkt zurück, reflektiert sein Leben, sieht, was man alles erreicht hat und denkt sicher an die Menschen, die einem wichtig sind – Familie, Trainer, Kollegen (lacht). Aber ewig dauert die Hymne ja zum Glück auch wieder nicht.

Dabei waren die Vorzeichen ja äusserst schlecht. Sie hatten kurz vor Olympia eine schwere Verletzung. Wie konnten Sie überhaupt an den Sieg glauben?

Die Verletzung war ein herber Rückschlag. Ich dachte im ersten Moment, dass alles vorbei und Sotschi für mich gestorben sei. Ich habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben und alles probiert, was möglich war. Die Vorbereitung war von daher gesehen alles andere als ideal. Aber mit der Zeit habe ich mich immer besser gefühlt. Da merkte ich, dass es möglich ist. Dieses positive Denken hat mir Kraft gegeben – auch am Wettkampftag während des Rennens.

Ihr erstes Gold holten Sie vier Jahre zuvor in Vancouver. Welcher Erfolg bedeutet Ihnen mehr?

Natürlich ist der erste Olympiasieg etwas ganz Besonderes. Dennoch bedeuten mir die Siege in Sotschi mehr. Es ist immer schwieriger, den Erfolg zu bestätigen. Die Erwartungshaltungen – auch meine eigenen – steigen deutlich an. Zudem muss man die Spannung halten und hundertprozentig motiviert sein. Wenn ich dies eines Tages nicht mehr erfüllen kann, ist es Zeit, die sportliche Laufbahn zu beenden. Der Sport bringt so viele Emotionen, denen man sich voll und ganz hingeben muss.

Ganz einfach – ich habe oft gewonnen.

Was wäre eigentlich Ihr Plan B fürs Leben gewesen?

Da ich die Matura gemacht habe, wäre ich wohl an einer Universität gelandet. Gerade der Bereich der Wirtschaftswissenschaften interessiert mich. Hätte es mit der Profilaufbahn nicht funktioniert, hätte mein Weg wohl in diese Richtung geführt.

Was machen Sie, wenn Sie die Loipe verlassen?

Wenn es gut läuft, kann ich noch einige Jahre aktiv sein. Im Sportbereich stehen mir aber viele Türen offen. Hier gibt es schon heute tolle Projekte und Kooperationen. Auf diese Aufgaben freue ich mich. Doch noch ist es nicht so weit.

Vom Kraftraum direkt ins Büro – wie wandelbar sind Sie denn?

Als erfolgreicher Sportler, der in der Öffentlichkeit steht, muss man wandelbar sein. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass er viele Facetten bietet. So bin ich nicht nur Sportler, sondern auch Markenbotschafter, oder ich halte Vorträge. Der Sport hat mir viel gegeben, und ich habe viel durch den Sport gelernt.

Auch die Fähigkeit zu leiden?

Ja. Bei jedem Rennen muss man an seine Grenzen gehen – bis dahin, wo es weh tut – und alles aus seinem Körper rausholen. Man muss sich quälen können. Wir lernen, mit diesen Schmerzen umzugehen – nicht zuletzt durch das harte Training. Und dann macht es einfach nur Spass, und man fühlt sich gut. Das ist, was einen Wettkampf ausmacht: wenn man sich mit anderen messen kann.

Woran denken Sie eigentlich mitten im Rennen?

Man muss fokussiert und konzentriert sein auf das Rennen und die Strecke. Vorausdenken an den nächsten Aufstieg, an die nächste schwierige Kurve und versuchen, sich permanent selbst zu pushen. In einem langen Wettkampf schweift man manchmal ab und denkt an Dinge aus dem privaten Umfeld, die gerade aktuell sind. Eigentlich ist das gar nicht schlecht, wenn man diesen Zustand erreicht. Den Zustand völliger Leichtigkeit. Es ist ein gutes Zeichen dafür, dass man sich wohlfühlt und das Leiden vergisst.

Sprechen wir doch mal über den «privaten» Dario Cologna. Sie wirken immer äusserst sympathisch, eher still und zurückhaltend. Welche Seite kennen wir nicht?

Genau die, dass ich eben nicht immer so still bin. Ich versuche, mich in der Öffentlichkeit nicht zu verstellen, und gebe mich eigentlich sehr authentisch. Natürlich kann ich auch lauter werden oder habe ich mal schlechte Laune. Und «fäschte» kann man mit mir ebenfalls sehr gut.

Ist Ihnen denn Ihr Image sehr wichtig?

Natürlich will man, dass die Leute gut über einen denken. Gleichzeitig muss man sich selbst treu bleiben. Ich kann es nicht jedem recht machen. Und wenn man oft in den Medien ist, hat man das eigene Image nicht immer in der Hand. Egal ist es mir nicht bei denjenigen Menschen, die mir wichtig sind.

Was machen Sie, wenn es mal nicht so läuft? Wo finden Sie neue Lichtblicke?

Es sind eigentlich kleine Sachen im Leben, die einen aufbauen. Ich bin ein sehr positiver Mensch und schaue grundsätzlich nach vorne. Wenn ich eine Auszeit oder Ablenkung brauche, hilft mir die gute Zeit mit meinen Freunden – zusammen essen gehen und interessante Gespräche führen. Manchmal bin ich wirklich froh, wenn ich nichts machen muss und einfach nur zu Hause sein und die Freizeit geniessen kann. Das gibt mir Halt und Kraft.

Sie sagen von sich, Sie würden oft zu viel wollen. Was meinen Sie damit?

Ich würde gerne jedes Rennen mitlaufen. Aber das geht nicht, weil der Körper dabei nicht mitmachen würde und ich nicht jeden Wettkampf gewinnen könnte. Also konzentriere ich mich auf die Höhepunkte der Saison, um dort die beste Leistung abzuliefern. Das gilt generell fürs Leben. Man kann nicht alles haben. Der Sport hat mir viel gegeben, aber ich musste auch auf einiges verzichten.

Gerade hörte man in der Presse, dass der Vertrag mit Ihrer langjährigen Trainerin nicht verlängert wurde. Ein positiver Wandel?

Mit Guri Hetland konnte ich viele schöne Erfolge feiern. Ich bin aber überzeugt, dass mit Ivan Hudac ein sehr guter und erfahrener Gruppentrainer zu Swiss-Ski gekommen ist, der unserem Team für den kommenden Olympiazyklus neue Trainingsimpulse geben kann.

Die Zeit verging rasend schnell. Logisch, er rennt immer gegen sie an. Eine Stunde intensives Gespräch. Bei der nächsten Ausfahrt muss ich raus. Er hält an. Ich steige aus. Neben mir am Steuer sass nicht nur einer der grössten Sportler der Welt, sondern ein äusserst interessanter Mensch. Ich habe das Gefühl, ihn kennengelernt zu haben. Er gab mir die Chance dazu. Ich packe Stift und Block wieder in meine Tasche und drehe mich um. Ich sehe nur noch die Rücklichter seines Wagens. Dario Cologna ist schon längst wieder unterwegs. Mit Vollgas.

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